Release date:
October 10, 2025
Pre-order vinyl:

Es ist schon einige Jahre her, da wurde das Ende der Rockmusik ausgerufen. Vor allem amerikanische Bands wie Trans Am, Tortoise, Gastr Del Sol oder The Sea And Cake arbeiteten an einer neuen Vision einer Musik nach der Rockmusik. Die Gemeinsamkeit dieser Bands lag vor allem in der Absage an Rockmusik, wie man sie kannte: als Parole, als starres System aus Strophe und Refrain, Sänger, Botschaft und Publikum. Gegen die Organik des Songs rückten diese Bands gerade auch die Ambivalenz von Sounds.
All das ist schon ziemlich lange her – und die Musiker der genannten Gruppen haben unterdessen graue Haare bekommen. Doch natürlich gibt es auch heute Musiker, die diesen Geist durch die Gegenwart in die Zukunft tragen. Wie etwa Einseinseins – diese Band aus Berlin und Würzburg, die in ihren Genen vieles von früher zu tragen scheint. Hören wir sie, dann denken wir zum Beispiel an Trans Am: diese glamourösen Rockriffs, diese Vocoder-Stimmen, diese Vintage-Keyboard-Sounds. Manches klingt nach Kraftwerk, anderes nach Can, Neu!, Hawkwind, Stereolab oder nach dem Synthie-Pop der Achtziger. Dazu kommen die komplexen, verschobenen Strukturen freier Jazzmusik und ein bisschen Punk, wie ihn einst Black Flag oder Hüsker Dü machten.
Zwei Alben gibt es schon. Jetzt ist ein drittes erschienen, dass den so passenden Namen „Energie“ trägt. Das erste Stück „Der letzte Countdown“ beginnt. Die Vocoder-Stimme zählt von 10 runter bis 1 – und es geht los. Das Stück entwickelt seinen Reiz aus dem Mit- und Gegeneinander von Ordnung und Chaos. Gitarren wie Synthies jaulen heftig zwischen Rock und Avantgarde. Viel Text braucht es hier nicht. Von 10 ist man schnell bei 1 angekommen – und so geht der Text nun immer weiter: „Eins, Eins, Eins …“ Eine schlaue Referenz an den Bandnamen: Statt einem System aus Einsen und Nullen – das binäre Zahlensystem, das die Grundlage digitaler Technologien darstellt – gibt es bei dieser Band nur Einsen. Hier fließt immer Strom.
Dynamik, vielgestaltige Sounds und auch jede Menge Wumms: Das ist das Ding von Niels Hoffmann, Alex Fedorov und Johannes Rosswog. „Die Grenzen Deines Landes sind die Grenzen Deines Verstands“ – hier mit markant-markigem Gesang ist ein forderndes Stück und, wie der Titel schon andeutet, auch ein dezidiert politisches. Und auch „Storno“ treibt vehement nach vorne: ein unwiderstehlicher Beat aus Schlagzeug und Bass, störrische Gitarrenriffs, breite Soundflächen, Freejazz-Artiges vom Keyboard: Hier spielt eine Band, die mehr sein will, als ein nostalgischer Krautrock-Gedächtnisverein.
Die Kunst wird hier nicht für die Kunst gemacht. Es geht um etwas. „Kein Schlussstrich“ hält das schnelle Tempo – überhaupt ist „Energie“ eine Highspeed-Platte, die nicht an Energie verliert. Im Gegenteil: Sie nimmt weiter Fahrt auf, verbindet reine Spiel-Energie mit der Lust am Experiment. Wie bei „Straßennamen", wo Einseinseins zeigen, wieviel Freude es machen kann, über einen interessanten Beat zu improvisieren.
Kraftwerk waren große Fans des Rennradfahrens und auch Einseinseins widmen dem Radfahren einen Song, der zudem noch sehr zeitgemäß die Idee der „Autobahn“ als Mobilitäts-Utopie in Frage stellt. „Fahrrad Fahren“ heißt das Stück und dieser kleine Exkurs sei erlaubt: Kraftwerk liebten den Radsport, weil sie ihn sich so dachten wie ihre Musik. Mensch und Maschine sind im Einklang, sind in perfekter Balance. In perfekter Monotonie. In perfekter Wiederholung. In perfektem Rhythmus.
Schlanke Maschinen wie ein Rennrad waren für Kraftwerk ikonische Objekte, denn in ihnen verkörpert sich die Haltung der Band. Doch Kraftwerk liebten 1974 auch die „Autobahn“, die Einseinseins 2025 nicht mehr brauchen, denn sie wollen lieber nur noch Fahrrad fahren, wollen frische Luft statt Motorgeräusch und Benzingeruch. Und wir hören ihre Botschaft: „Die Reifen hart, die Kette spurt / Der Sattel hoch, der Freilauf surrt / Der Takt des Rads, ein sanfter Fluss / Ganz ohne Ziel, ganz ohne Schluss / Das Licht der Sonne, der Silberglanz / Zieht vorbei im Schattentanz“. Und der Refrain: „Fahren, fahren, Fahrrad fahren. Immer nur noch Fahrrad fahren …“ Achtung, das könnte er werden, der Hit der Platte!
„Idealoweiss“ kommt mir kunstvoll-hintersinnigen Text und betont noch einmal: Einseinseins sind auch eine Rockband: Die verzerrte Gitarre, die Stromgitarre ist prägend für dieses Album. Doch es gelingt hier, die Gitarren noch einmal neu klingen lassen – vor allem im Zusammenspiel mit den Synthesizern. Dann herrliche Breaks mit Widerhaken bei „Herr Eisenbrass“, eine Hommage an einen archaischen Roboter des 19. Jahrhunderts – und zum Schluss „Liebeslied für Wohlstandslinke“, wo sich eine schüchterne 90er-Indie-Rock-Gitarre mit zwei Akkorden ins Herz schrammelt.
Ist das schon eine Referenz an Blumfelds „Verstärker“? Merkst Du, was ich merke? Wir lauschen weiter, wie sich das Stück zu einer echten Postpunk-Krautrock-Symphonie steigert. Liegt die Botschaft des Songs in dieser Zeile? „Es gibt kein richtig sondern nur falsch“? In jedem Fall wird hier der Anspruch dieser Band noch einmal deutlich: Sie treiben das, was sie tun an die Grenzen, zitieren aus vielen Dekaden Pop-Geschichte, sind keine Genre-Band, sondern wirklich offen. Sie machen ihr eigenes, monumentales Hochenergie-Ding. „Eins, Eins, Eins …“. Hier fließt immer Strom.
Marc Peschke

Tracklist:
  • 1. Der Letzte Countdown
  • 2. Die Grenzen Deines Landes Sind Die Grenzen Deines Verstandes
  • 3. Storno
  • 4. Kein Schlussstrich
  • 5. Strassennamen
  • 6. Fahrrad Fahren
  • 7. Idealoweiss
  • 8. Herr Eisenbrass
  • 9. Liebeslied Für Wohlstandslinke

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